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- 16. Januar 2024
„Was ist eigentlich Trauma?“
Wenn man so unseren Alltagssprachgebrauch zugrunde legt, dann sind wir alle irgendwie dauernd traumatisiert von irgendetwas. Die Pandemie wird als Kollektivtrauma beschrieben. Doch ist das wirklich so? Oder wird der Begriff Trauma viel zu inflationär benutzt?
Die Frage, was Trauma ist und vor allen Dingen viel spannender, wie Trauma behandelt werden kann, treibt viele Psychotherapeuten um. Vor kurzem habe ich den Workshop „The body keeps the score” von Bessel van der Kolk besucht, in dem er sehr viele spannende Studien und Erfahrungen zum Thema Trauma berichtet hat. Bessel van der Kolk ist mittlerweile 80 Jahre alt und war zuletzt Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität Boston. Er beeindruckt mich allein schon aufgrund seiner gutmütigen und angenehmen Erzählstimme, der man stundenlang lauschen kann und in ein warmes Wohlgefühl gehüllt ist.
- Trauma ist nicht, was uns passiert – Trauma ist, was in uns passiert.
- Trauma ist der Abdruck, den das Ereignis auf die gegenwärtige Erfahrung hat.
- Trauma ist die Geschichte, die wir uns über die Vergangenheit erzählen.
- Trauma zeigt sich darin, dass wir „festhängen“ und nicht in der Lage sind uns voll in unserem gegenwärtigen Leben zu engagieren.
Es muss nicht zwingend eine Erinnerung an Ereignisse geben, wir werden getriggert durch Gerüche, Szenen, Stimmen usw. und erleben die Szene wie damals– die Gefühle und Körpersensationen kommen zurück und überfluten uns. Unser Gehirn denkt, es passiert immer noch, obwohl das Ereignis längst vorbei ist. Es ist uns in dem Moment nicht mehr möglich zwischen damals und heute zu unterscheiden, unser Zeitgefühl geht vollständig verloren. Wir verhalten uns so, als wären wir im Ereignis.
Trauma wird nicht als Geschichte erinnert, sondern als Sensation. Der Körper erlebt es, bevor das Gehirn in der Lage ist die Geschichte zu erzählen. Trauma findet nicht den Weg in den Frontallappen, wo unser rationales Denken lokalisiert. Trauma ist lokalisiert in den primitiven Bereichen des Gehirns, im Hirnstamm, dort wo es um das „basic housekeeping“ unseres Körpers geht, um Dinge wie Atmung, Schlaf, Erregung, chemische Balance. Deshalb reicht auch allein das „Reden“ über Trauma nicht aus, um zu heilen.
Unser Bindungssystem hat einen großen Effekt darauf, ob ein Ereignis Wurzeln hinterlässt oder nicht. Eine sichere Bindung ist eine mächtige Sache. Wenn Dinge passieren und es gibt in meinem Leben Menschen, mit denen ich mich sicher fühle, mit denen ich über die Geschehnisse reden kann, hinterlässt ein Ereignis eher wenige Spuren.
Van der Kolk sagt, Ziel in der Therapie von Trauma sollte es sein, dass Betroffene irgendwann die Geschichte schildern, als würden sie sie von einem Teleprompter ablesen und nüchtern über etwas berichten, was vor langer Zeit passiert ist. Sie sollten sagen können: Es ist vorbei!
Wie können wir Trauma bewältigen?
Ich fand es sehr entwaffnend, dass van der Kolk in seinem Workshop sagte, er gelte schon lange als Traumaexperte, seine Bücher hätten nur eine ganze Weile kein Kapitel zum Thema „Behandlung“ gehabt, weil man damals einfach nicht gewusst hätte, wie Trauma zu behandeln ist. Er stellt in seinem Workshop eine Hierarchie von Tätigkeiten vor, die helfen kann das Trauma zu überwinden.
- Teil einer Gemeinschaft werden, entweder einer familiären oder von ebenfalls Betroffenen.
- Menschen unterstützen einen Beitrag zu etwas leisten zu können.
- Lernen die Affekte zu regulieren über Dinge wie Yoga, Singen, Musik machen, Tai Chi.
- Lernen zu erfahren, wer du bist und was in dir passiert
- Dann beginnt die eigentliche Arbeit mit dem Trauma z.B. über die Beschäftigung mit verschiedenen Anteilen in dir und über die Versorgung des verletzten und/oder vernachlässigten Anteils in dir.
Unsere natürliche Tendenz ist, vor dem Trauma und überhaupt vor allen negativen Gefühlen zurückzuschrecken, dort nicht hingehen zu wollen. Und die ist auch absolut nachvollziehbar.
Der einzige Weg jedoch uns nachhaltig zu verändern ist der, nach innen zu gehen und behutsam unsere Körpersensationen und Gefühle zu fühlen. Dazu brauchen wir in der Regel jemanden, der uns dabei begleitet. Das Gefühl „gefühlt“ zu werden ist hierbei extrem heilsam: Da ist jemand, der mitfühlt, was in mir ist und mir das widerspiegelt und mir so signalisiert, dass er mich versteht.
Gerne kann ich Sie dabei unterstützen, mehr Mut zu finden, sich auf Ihre Körperempfindungen und Ihr Innenleben einzulassen und sich in kleinen Schritten an Ihre Gefühlswelt heranzutasten, um irgendwann vergangene Erfahrungen mehr aus der Distanz betrachten zu können ohne in der Gegenwart immer noch massiv von diesen Gefühlen überwältigt zu werden.
Schreiben Sie mir eine Mail an
kontakt@paartherapie-badnauheim.de. Ich freue mich, von Ihnen zu hören.
Ihre
Birgit Rolf
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